Dialogveranstaltung

1,5-Grad-Ziel – Welche Hebel wirken schnell und effektiv?

01 - 03 Okt 2021
Evangelische Akademie Tutzing

Welche Bedeutung kommt techno­lo­gischem Fort­schritt bei der Ver­hin­derung der Klima­katas­trophe zu und welche Rolle könnten indi­vi­dueller und kollek­tiver Ver­zicht spielen? Wer trägt die Haupt­lasten der not­wen­digen Ver­ände­rungen? Wie können Arbeits­plätze gesichert, wie kann Mobi­lität gewähr­leistet werden? Wie lassen sich Parti­zi­pa­tion und Ak­zep­tanz sichern? Mit diesen Fragen be­schäf­­tigten rund 60 Teil­nehmer:innen und Refe­rent:innen vom 01.-03. Oktober 2021 im Rahmen einer gemein­samen Tagung der Evan­gelischen Akademie Tutzing und des ZEW Mannheim an den Ufern des Starn­berger Sees.

Ziel der Tagung, die im Rahmen des BMBF-Dialoges zur Klima­ökonomie stattfand, war es, zentrale Kontro­versen rund um den Klima­schutz auf­zu­greifen und zu dis­ku­tieren, ohne in die üblichen Schab­lonen und Graben­kämpfe zu ver­fallen. Als roter Faden zog sich dabei der Dialog zwischen vier wissen­schaft­lichen Ansätzen durch die Veran­staltung: Umwelt­öko­nomik, Ökologische Öko­nomik, Post­wachs­tum und Femi­nis­tische Öko­nomik. Marc Frick vom ZEW und Katharina Hirschbrunn, Studien­leiterin für Wirt­schaft und Arbeits­welt, Nach­haltige Ent­wick­lung an der Evan­gelischen Aka­demie Tutzing führten gemein­sam mit elf Referent:innen aus den Bereichen Wissen­schaft, Politik, Zivil­gesell­schaft und Politik­beratung durch das dreitägige Programm.

Marc Frick betonte in seiner Ein­führung in die Veran­staltung, dass die zu meis­ternden Heraus­forderungen zwar von den natur­wissen­schaft­lichen Erkennt­nissen über die Folgen des mensch­lichen Treib­haus­gas­ausstoßes aus­gingen, in ihrem Kern jedoch oftmals sozial­wissen­schaft­liche Problem­stellungen dar­stellten. Ins­beson­dere ginge es um die Koor­dination und Mode­ration umfassender gesell­schaft­licher Verän­de­rungen hin zu einer öko­logisch nach­haltigen Form des Wirt­schaftens und Zusammen­lebens. Wissen­schaft­liche Ansätze und politische Instru­mente, die diese Verän­derungen erfolg­reich anstoßen sollen, müssen daher eine Vielzahl von spezi­fischen Bedin­gungen berück­sichtigen: Unter­schied­liche Bereiche des Zusammen­lebens folgen unter­schied­lichen Handlungs­logiken und die Um­setzung von Verän­derung ist ab­hängig von bestimmten Eigen­zeiten, wie beispiels­weise die Dauer von demo­kratischen Mehrheits­findungen, Gesetz­gebungs­verfahren, Verwaltungs­akten oder der indi­vi­du­ellen Verhaltens­anpassung.

Vier ökonomische Denkschulen als thematische Leitplanken

Im Anschluss an die Erarbeitung dieser Problem­stellung präsen­tierten vier Referentinnen die theore­tischen Ansätze, auf deren Grundlagen sie selbst in ihrer For­schung an der Um­setzung eines effek­tiven Klima­schutzes arbeiteten. Lilian Pungas, wissen­schaftliche Mit­arbei­terin an der Universität Jena, führte in die Grund­lagen des Post­wachstums­ansatzes ein und Bettina Chlond, wissen­schaft­liche Mit­arbeiterin am ZEW Mannheim, präsentierte das Gedanken­gebäude der Umwelt­ökonomik. Komplettiert wurde das Quartett der Denk­schulen von Prof. Dr. Mi-Yong Becker, Professorin für Nach­haltigkeit an der Hochschule Bochum, die die Grund­lagen der Ökolo­gischen Öko­nomik präsentierte, und Dr. Corinna Dengler, wissen­schaft­liche Mit­arbei­terin an der Uni­versität Kassel, die stell­ver­tretend für den Ansatz der Feminis­tischen Öko­nomik sprach. 

Gemeinsam mit den Teilnehmer:innen, die ihrerseits ganz unter­schiedliche Wissens­stände und Erfah­rungen mit­brachten, erar­beiteten die vier Refe­rentinnen klima­politische Hebel und Instru­mente, die gleich­zeitig schnell, öko­logisch effektiv und sozial gerecht wirken sollten. In aus­führlichen Workshop­sitzungen wurde kontro­vers debattiert, wer die Macht und Verant­wortung zur Um­setzung der not­wendigen Verän­de­rungen hat, wie radikal diese aus­fallen und welche Bedin­gung für die Schaffung demo­kratischer Mehr­heiten erfüllt werden müssen.

Einge­rahmt wurde das Programm von Vorträgen, die weitere Pers­pek­tiven auf das Thema bei­steuer­ten. So stellte Dr. Jochen Dallmer seinen Ansatz des „Gut leben statt viel haben“ vor, Dr. Boniface Mabanza Bambu ent­wickelte Bedin­gungen für eine global gerechte Klima­politik und Antje Majewski präsentierte unter­schiedliche künst­lerische Formen der Beschäf­tigung mit der Natur.

Kontroversen und offener Dialog als wichtiger Schritt zur Verständigung

Über die gesamte Dauer der Tagung prägte dabei der große Gesprächs­bedarf zwischen den unter­schied­lichen Gruppen das Programm. Nicht nur zwischen den wissen­schaft­lichen Ansätzen, auch unter den sehr hetero­genen zusammen­gesetzten Teil­nehmer:innen wurde kontro­vers diskutiert, wie und mit welcher Geschwin­digkeit Klima­schutz umgesetzt werden könne und müsse. Nicht nur zwischen den Gene­ra­tionen, auch zwischen unter­schied­lichen Berufs­gruppen, zwischen Stadt und Land, zwischen Wissen­schaft und Praxis wurde um die besten Ansätze und Instru­mente gerungen. Die Öko­nomin Prof. Dr. Mi-Yong Becker brachte Er­fahrung am Ende der Tagung mit den folgenden Worten zusammen:

„Es ist gut, wenn viele Menschen aus ganz unter­schied­lichen Bereichen der Gesell­schaft zusammen­kommen und die Möglichkeit haben, sich über einen längeren Zeit­raum intensiv mit der Frage aus­einander­zusetzen, wie wir unterhalb der formu­lierten Grenzen des Klima­erwär­mung bleiben. Die not­wen­digen Dis­kussionen strukturiert führen zu können, war eine der zen­tralen Errungen­schaften der Tagung.“

Großes Abschlusspanel mit Vertreter:innen aus Wissenschaft, Politik, Zivilgesellschaft und Politikberatung

Die angestoßenen Debatten wurden schließlich in einem finalen Podiums­gespräch zusammen­geführt, in dem Daniel Al-Kayal, Klima­aktivist und Buchautor, Henrike Hahn, Europa­abge­ordnete der Grünen, Prof. Dr. Karen Pittel, Co-Vor­sitzende des Wissen­schaft­lichen Beirats Globale Umwelt­verän­derungen, und Carolin Schenuit, Vor­ständin des Forum Ökologisch-Soziale Markt­wirtschaft (FÖS), miteinander disku­tierten. Die Debatte drehte sich dabei darum, wer die not­wen­digen Ver­än­derungen anstoßen könne – Politik, Wirtschaft oder Zivil­gesell­schaft; wie Blockaden aufgelöst werden und ein Umgang mit der Dis­krepanz zwischen der Dring­lichkeit der Klima­krise und dem begrenzten Veränderungs­willen der Gesell­schaft gefunden werden kann.