Dialogveranstaltung
1,5-Grad-Ziel – Welche Hebel wirken schnell und effektiv?

© Chris Grodotzki / Campact
Welche Bedeutung kommt technologischem Fortschritt bei der Verhinderung der Klimakatastrophe zu und welche Rolle könnten individueller und kollektiver Verzicht spielen? Wer trägt die Hauptlasten der notwendigen Veränderungen? Wie können Arbeitsplätze gesichert, wie kann Mobilität gewährleistet werden? Wie lassen sich Partizipation und Akzeptanz sichern? Mit diesen Fragen beschäftigten rund 60 Teilnehmer:innen und Referent:innen vom 01.-03. Oktober 2021 im Rahmen einer gemeinsamen Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing und des ZEW Mannheim an den Ufern des Starnberger Sees.
Ziel der Tagung, die im Rahmen des BMBF-Dialoges zur Klimaökonomie stattfand, war es, zentrale Kontroversen rund um den Klimaschutz aufzugreifen und zu diskutieren, ohne in die üblichen Schablonen und Grabenkämpfe zu verfallen. Als roter Faden zog sich dabei der Dialog zwischen vier wissenschaftlichen Ansätzen durch die Veranstaltung: Umweltökonomik, Ökologische Ökonomik, Postwachstum und Feministische Ökonomik. Marc Frick vom ZEW und Katharina Hirschbrunn, Studienleiterin für Wirtschaft und Arbeitswelt, Nachhaltige Entwicklung an der Evangelischen Akademie Tutzing führten gemeinsam mit elf Referent:innen aus den Bereichen Wissenschaft, Politik, Zivilgesellschaft und Politikberatung durch das dreitägige Programm.
Marc Frick betonte in seiner Einführung in die Veranstaltung, dass die zu meisternden Herausforderungen zwar von den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen über die Folgen des menschlichen Treibhausgasausstoßes ausgingen, in ihrem Kern jedoch oftmals sozialwissenschaftliche Problemstellungen darstellten. Insbesondere ginge es um die Koordination und Moderation umfassender gesellschaftlicher Veränderungen hin zu einer ökologisch nachhaltigen Form des Wirtschaftens und Zusammenlebens. Wissenschaftliche Ansätze und politische Instrumente, die diese Veränderungen erfolgreich anstoßen sollen, müssen daher eine Vielzahl von spezifischen Bedingungen berücksichtigen: Unterschiedliche Bereiche des Zusammenlebens folgen unterschiedlichen Handlungslogiken und die Umsetzung von Veränderung ist abhängig von bestimmten Eigenzeiten, wie beispielsweise die Dauer von demokratischen Mehrheitsfindungen, Gesetzgebungsverfahren, Verwaltungsakten oder der individuellen Verhaltensanpassung.
Vier ökonomische Denkschulen als thematische Leitplanken
Im Anschluss an die Erarbeitung dieser Problemstellung präsentierten vier Referentinnen die theoretischen Ansätze, auf deren Grundlagen sie selbst in ihrer Forschung an der Umsetzung eines effektiven Klimaschutzes arbeiteten. Lilian Pungas, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Jena, führte in die Grundlagen des Postwachstumsansatzes ein und Bettina Chlond, wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZEW Mannheim, präsentierte das Gedankengebäude der Umweltökonomik. Komplettiert wurde das Quartett der Denkschulen von Prof. Dr. Mi-Yong Becker, Professorin für Nachhaltigkeit an der Hochschule Bochum, die die Grundlagen der Ökologischen Ökonomik präsentierte, und Dr. Corinna Dengler, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Kassel, die stellvertretend für den Ansatz der Feministischen Ökonomik sprach.
Gemeinsam mit den Teilnehmer:innen, die ihrerseits ganz unterschiedliche Wissensstände und Erfahrungen mitbrachten, erarbeiteten die vier Referentinnen klimapolitische Hebel und Instrumente, die gleichzeitig schnell, ökologisch effektiv und sozial gerecht wirken sollten. In ausführlichen Workshopsitzungen wurde kontrovers debattiert, wer die Macht und Verantwortung zur Umsetzung der notwendigen Veränderungen hat, wie radikal diese ausfallen und welche Bedingung für die Schaffung demokratischer Mehrheiten erfüllt werden müssen.
Eingerahmt wurde das Programm von Vorträgen, die weitere Perspektiven auf das Thema beisteuerten. So stellte Dr. Jochen Dallmer seinen Ansatz des „Gut leben statt viel haben“ vor, Dr. Boniface Mabanza Bambu entwickelte Bedingungen für eine global gerechte Klimapolitik und Antje Majewski präsentierte unterschiedliche künstlerische Formen der Beschäftigung mit der Natur.
Kontroversen und offener Dialog als wichtiger Schritt zur Verständigung
Über die gesamte Dauer der Tagung prägte dabei der große Gesprächsbedarf zwischen den unterschiedlichen Gruppen das Programm. Nicht nur zwischen den wissenschaftlichen Ansätzen, auch unter den sehr heterogenen zusammengesetzten Teilnehmer:innen wurde kontrovers diskutiert, wie und mit welcher Geschwindigkeit Klimaschutz umgesetzt werden könne und müsse. Nicht nur zwischen den Generationen, auch zwischen unterschiedlichen Berufsgruppen, zwischen Stadt und Land, zwischen Wissenschaft und Praxis wurde um die besten Ansätze und Instrumente gerungen. Die Ökonomin Prof. Dr. Mi-Yong Becker brachte Erfahrung am Ende der Tagung mit den folgenden Worten zusammen:
„Es ist gut, wenn viele Menschen aus ganz unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft zusammenkommen und die Möglichkeit haben, sich über einen längeren Zeitraum intensiv mit der Frage auseinanderzusetzen, wie wir unterhalb der formulierten Grenzen des Klimaerwärmung bleiben. Die notwendigen Diskussionen strukturiert führen zu können, war eine der zentralen Errungenschaften der Tagung.“
Großes Abschlusspanel mit Vertreter:innen aus Wissenschaft, Politik, Zivilgesellschaft und Politikberatung
Die angestoßenen Debatten wurden schließlich in einem finalen Podiumsgespräch zusammengeführt, in dem Daniel Al-Kayal, Klimaaktivist und Buchautor, Henrike Hahn, Europaabgeordnete der Grünen, Prof. Dr. Karen Pittel, Co-Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen, und Carolin Schenuit, Vorständin des Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS), miteinander diskutierten. Die Debatte drehte sich dabei darum, wer die notwendigen Veränderungen anstoßen könne – Politik, Wirtschaft oder Zivilgesellschaft; wie Blockaden aufgelöst werden und ein Umgang mit der Diskrepanz zwischen der Dringlichkeit der Klimakrise und dem begrenzten Veränderungswillen der Gesellschaft gefunden werden kann.