7. Forum Klimaökonomie

Ausstieg aus fossilen Energieträgern - Wie gelingt eine faire Systemtransformation?

12 Okt 2020
10117 Berlin
Kalkscheune, Johannisstraße 2
Das 7. Forum Klimaökonomie im Pandemie-Format
7. Forum Klimaökonomie Panel

„Ausstieg aus fossilen Energieträgern – Wie gelingt eine faire System­transformation“ war das Thema des 7. Forums Klima­ökonomie am 12. Oktober 2020. Aufgrund der Corona-Pandemie fand die Diskussion dieses Forums in einem neuen virtuellen Format statt. Mehr als 100 eingeladene Vertreter:innen aus Politik, Wirtschaft, Zivil­gesellschaft und Wissen­schaft verfolgten den Live­stream des Forums und brachten ihre Fragen über begleitende Interaktions- und Chat­möglich­keiten in die Diskussion ein. Vor dem Hintergrund der Verschärfung der euro­päischen Klimaschutzziele im Rahmen des EU Klima­ziel­plans 2030 diskutierte die Runde einen der zentralen Bausteine zu deren Erreichung: Den Ausstieg aus fossilen Energien, ohne den die Ziele des Pariser Klima­schutz­abkommens nicht zu erreichen sind.

Stefanie Hiesinger erläutert in Keynote die Ziele der EU Kommission
7. Forum Klimaökonomie - Stefanie Hiesinger

Stefanie Hiesinger aus dem Kabinett von Frans Timmermans, Executive Vizepräsident der Euro­päischen Kommission für den EU Green Deal, war der Debatte live aus Brüssel zugeschaltet. Neben dem Konsens zum Ziel der Klima­neutralität 2050 betonte sie dabei die direkt auf die Lebens­qualität der Menschen wirkenden Co-Benefits eines Ausstiegs aus fossilen Energie­trägern, wie die Ver­besserung der Luft­qualität und die Reduk­tion von Umwelt­schäden. Das von der Euro­päischen Kommission neu vorgelegte Ziel von -55% Treibhausgasemissionen bis 2030 sei machbar, bedürfe jedoch einiger Anstren­gungen. Es sei konsistent mit Berech­nungen des IPCC und bringe das Ziel von „net zero“ bis 2050 in Reich­weite. Es mache allerdings die Reduk­tion der Kohle­nutzung um 70% und der Erdgas- und Öl­nutzung um 25-30% notwendig. Außerdem erfordere es zusätzliche jährliche Investi­tionen in Höhe von 90 Mrd.€ (im Vergleich zum bisherigen Reduktions­ziel von -40%).

„The transition will be just,
or there just won´t be a transition.“

(Frans Timmermans, September 2020)

Deutschland muss nachlegen!

Ein Zwischen­fazit nach Frau Hiesingers Keynote war, dass als Konse­quenz der Anhebung der europä­ischen Ziele auch Deutschland seine Klima­schutz­ziele dringend ver­schärfen muss, um die euro­päischen Ziele nicht zu ver­fehlen und um gleich­zeitig die Chancen einer klima­politischen Vor­reiter­rolle auf wirt­schaft­licher und gesell­schaft­licher Ebene zu nutzen.

Sinnvolle politische Maß­nahmen sollten die Reduktion der Emissionen mit der sozial gerechten Um­setzung von Klima­schutz verbinden – gerade auch im Zusammen­hang mit den wirt­schaft­lichen Aus­wirkungen der Covid-19-Pandemie. „Green Recovery”-Maß­nahmen haben das Potenzial, wirt­schaft­liche Erholung sinnvoll mit Klima­schutz zu verbinden.

Dr. Jessica Strefler ergänzt wissenschaftliche Perspektive
7. Forum Klimaökonomie - Jessica Strefler

Dass die Heraus­forderungen des Ausstiegs aus der Kohle keine öko­nomi­schen oder tech­nischen Fragen, sondern soziale sind, betonte auch Dr. Jessica Strefler vom Potsdam-Institut für Klima­folgen­forschung (PIK). Sie stellte in ihrer Scientific Response die gerade für Deutschland zentralen Punkte des Aus­stiegs aus fossilen Energien heraus.

  • Berück­sichtigung regionaler Unterschiede bei den Heraus­forderungen des Ausstiegs,
  • Vermeidung weiterer (steuerfinanzierter) Carbon Lock-Ins, z. B. durch die Investition in mittel­fristig obsolete Gas­infra­struktur,
  • Umsetzung wirksamer Partizipations­formate für Bürger:innen, auch zur Stärkung der ge­sell­­schaft­lichen Akzeptanz,
  • Ausgleich regressiver Effekte des CO2-Preises.
Panel diskutiert Herausforderungen der Umsetzung des EU Green Deals

Moderiert von Conny Czymoch diskutierten Stefanie Hiesinger und Jessica Strefler an­schlie­ßend gemein­sam mit Carolin Schenuit (Forum Ökologisch-Soziale Markt­wirtschaft, FÖS), Dr. Stephan Krieger (Bundes­verband der Energie- und Wasser­wirtschaft, BDEW) und Frederik Moch (Deutscher Gewerk­schafts­bund, DGB) die Heraus­forderungen der Um­setzung des euro­pä­ischen Green Deals. Drei Video­sequenzen leiteten dabei jeweils in Themen­bereiche ein, die bereits am 05. und 06. Oktober in vor­ge­lagerten Diskussions­runden der virtuellen Round­table Series zum 7. Forum Klima­ökonomie adressiert worden waren:

Der EU Green Deal in Zeiten von Covid-19

Der erste Round­table hatte die Frage diskutiert, wie weit die aktuelle deutsche Klima­gesetz­gebung an­gesichts verschärfter euro­pä­ischer Klima­ziele reicht und wie die konjunktur­politischen Maß­nahmen zur Be­wäl­­tigung der Corona-Krise den klima­politischen Handlungs­spielraum verändern. Dr. Elmar Kriegler (PIK) brachte die folgenden zusammen­fassenden Thesen in das Forum ein:

  • Die Nutzung fossiler Energie­quellen muss zur Erreichung des in Paris be­schlossenen 1,5°-Ziels schnell sinken.
  • Die Corona-Konjunktur­­programme kön­nen genutzt werden, um einen neuen, CO2-ärmeren Pfad ein­zu­schlagen. Werden die Pakete aller­dings für eine Rück­kehr zur CO2-inten­siven Wirtschafts­­weise genutzt, wird diese über Jahre zementiert und die Pariser Klima­schutz­ziele geraten außer Reich­weite.
  • Der EU Green Deal ist zentral um Trans­for­mationen an­zu­stoßen. Covid-19 verstärkt den hohen Handlungs­bedarf noch. Es gilt: Jetzt oder nie für die euro­päische und nationale Klima­schutz­gesetz­gebung und für Sofort­programme zur Umsetzung des Green Deals!

In der Diskussion wurde die wichtige Lenkungs­wirkung des CO2-Preises auf euro­päischer Ebene betont. Ein wirksamer CO2-Preis könne damit zu einem Leit­instrument auch der deutschen Umsetzungs­debatte werden, müsse jedoch durch weitere Maß­nahmen flankiert werden: Emissions­standards im Verkehr und Investitions­fonds zum finan­ziellen Aus­gleich für einkommens­schwache Haushalte, der aus den Einnahmen des CO2-Preises gespeist wird, wurden aufgeführt. Hinsichtlich eines Mindest­preises im mengen­basierten Emissions­handels­system gibt es, nach Aussage von Stefanie Hiesinger, allerdings von Seiten der Euro­päischen Kommission derzeit keine Pläne.

Von der Kohlewirtschaft in die Erdgaswirtschaft, droht ein neuer Lock-In?

Ein weiterer Round­table hatte am 06. Okto­ber mit Blick auf den deut­schen Klima­schutz­plan diskutiert, welche neuen Pfad­abhängig­keiten beim Aus­stieg aus der Kohle lauern. Die Ein­drücke aus diesem Aus­tausch fasste Prof. Jan Minx, Ph.D. (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) für das Pub­likum des Forums mittels der folgenden Thesen zusammen:

  • Deutschland muss seine Klima­schutz­ziele verschärfen und beim Kohle­ausstieg nach­legen – kurzfristig liegen die größten Ein­spar­potentiale in der Energie­wirtschaft.
  • Notwendig sind ein CO2-Preis als klima­poli­tisches Leit­instrument – flankiert durch zusätz­liche ordnungs­politische Maß­nahmen, die Aus­weitung des EU-Emissions­handels­systems sowie Verläss­lichkeit durch einen Mindest­preis.
  • Gas als Brücken­techno­logie birgt das Risiko neuer fossiler Pfad­abhängig­keiten. Der Fokus sollte auf den Aus­bau von Erneuer­baren und von Strom­netzen gelegt werden.

Die Runde stimmte zu, dass ein Fokus auf die Orga­nisation der Ein­stiege wichtig sei. Unter­schied­liche An­sichten gab es bezüglich Alter­nativen zu Gas im Strom­sektor, die zur Stabi­lisierung der Netze dienen könnten. Der Wärme­sektor werde aller­dings trotz seines Volumens bisher ver­nach­lässigt. Dem Ein­wand, dass Gas schon aus Prakti­kabilitäts­gründen die einzige Möglichkeit darstelle, wurden der Aus­gleich zwischen den Regionen im euro­päischen Strom­netz, Demand-Side-Management und Strom­speicher als alter­native Lösungen entgegen­gestellt.

Grundsätzlich bestehe in Deutschland eine gute Gasnetz-Infrastruktur, die nicht leicht­fertig auf­gegeben werden solle, wobei der weitere Zubau fossiler Infra­struktur nicht sinnvoll sei. Die Mög­lichkeit, die Gas­netze für eine groß­flächige Nutzung von grünem Wasser­stoff um­zu­widmen, wurde kontro­vers gesehen. Diesem Vor­schlag wurde entgegen­gestellt, Wasser­stoff sei unter anderem auf­grund der hohen Umwandlungs­verluste keine Lösung, mit der das Ziel der Treibhaus­gas­neutralität 2050 erreicht werden könne. Das Potenzial in Deutschland sei sehr be­grenzt und würde Probleme ins Ausland ver­lagern. In anderen euro­päischen Ländern gebe es hingegen durchaus Poten­tiale und der so­genannte blaue Wasser­stoff könne eine geeignete Brücke sein.

Eine sozial gerechte Transformation – Wie können wir alle auf dem Weg in die kohlenstoffneutrale Wirtschaft mitnehmen?

Prof. Dr. Christian von Hirschhausen (Technische Universität Berlin) präsentierte schließlich die Thesen aus dem letzten Round­table. Dieser hatte am 05. Oktober diskutiert, wie der für Treibhausgas­neutralität not­wen­dige Struktur­­wandel so gestaltet werden kann, dass der Übergang in die kohlen­stoff­neutrale Wirt­schaft als sozial gerecht empfunden wird und damit gesell­­schaft­lich gemein­sam getragen wird.

  • Die Transformation zu einer emissions­freien Wirtschafts­weise muss durch regional- und sozial­politische Instru­mente flan­kiert werden. Die Preise für die nega­tiven Effekte fossiler Ener­gien auf die Um­welt müssen steigen und gleich­zeitig muss ein sozialer Aus­gleich ge­schaffen werden.
  • Welche Rolle bleibt neben den als wichtig erachteten lokalen Beteiligungen für nationale und euro­päische Trans­for­mations­politik?
  • Ist die Politik des Kohle­ausstiegs über­trag­bar auf die Aus­stiege aus Erd­gas und Erdöl?
  • Kann aus Trans­for­ma­tionen in der Vergangen­heit, wie der in Ost­deutschland und -europa oder der Digitalisierung, gelernt werden?

Das Panel schätzte Europa als zentralen Akteur für die Gewähr­leistung des ein­heit­lichen Binnen­markts und für die Gestal­tung der Rahmen­bedin­gungen ein. Auf der nationalen Ebene spiele die Kommu­nikation über die Um­setzung von Brüsseler Vor­gaben eine wichtige Rolle. So sei die von der Kommission ge­forderte An­hebung der Renovierungs­rate durchaus ambitioniert und müsse ent­sprechend von den Mitglieds­staaten voran­getrieben werden.

Im Hinblick auf die soziale Akzeptanz sei die Verknüpfung klima­poli­tischer Ziele mit Beschäf­tigungs­zielen elementar – ins­beson­dere je stärker der Wandel den Alltag der Be­völke­rung betreffe. Anders als der Kohle­ausstieg würden stei­gende Benzin- und Heiz­öl­kosten oder der Struktur­wandel in der Auto­mobil­industrie größere Bevöl­kerungs­gruppen betreffen. Dies könne auch die aktuell hohen Zustimmungs­raten zum EU Green Deal in den Mitglieds­staaten schwinden lassen. Gleichwohl lasse sich gerade im Zuge der Corona-Krise eine Rück­kehr der Wert­schätzung für die natür­liche Umwelt beo­bachten und die Ver­breitung der Über­zeugung, dass eine Rück­kehr zu alten Wirt­schafts­systemen Arbeits­plätze lang­fristig nicht sichern könne. Somit müsse für die Kon­junktur­maßnahmen im Zuge der Corona-Krise gelten: Nicht die alten Wirt­schafts­strukturen wieder­beleben, sondern die Chance für den Struktur­wandel nutzen.